Nadine Schemmanns Arbeiten sind die Wiedergabe von Begegnungen, Gesprächen und Momenten. Die Bestandteile, aus denen sich eine Begegnung zusammensetzt – die Geräusche, Gefühle, und Farben, führt sie in Skulpturen und Bildern wieder zusammen. Zunächst färbt oder bleicht sie dafür Stoffe, die sie dann zur gewünschten Größe zusammennäht. Manchmal, aber nicht immer, entstehen dabei Stoffkanten, die Schemmanns Arbeitsfläche bereits strukturieren, Begrenzungen setzen, aber auch die kommenden Begegnungen, der Farbe auf dem Leinenstoff, ankündigen. Denn auf diesen bearbeiteten Leinwänden kippt Schemmann, oftmals auf dem Boden liegend, Tusche, verdünnte Ölfarbe und Chlorbleiche aus. Aus der sich ausbreitenden Farbe und der Bleiche ergeben sich meistens zwei, oft aber auch noch mehr, Sphären, die über das Gewebe aufeinander zulaufen. Manchmal nähern sie sich nur an, manchmal umgarnen sie einander und ab und zu verlaufen sie, bis man nicht mehr erkennt, wo die eine Farbe beginnt und die andere aufhört. Die Stoffe werden nicht immer auf Rahmen gespannt. Oft hängen sie frei im Raum. So ergänzen sich die gelösten und die gespannten Zustände. Dadurch wird der Moment einer Begegnung nicht konserviert, sondern verändert sich, bewegt sich, atmet; auch nach Fertigstellung der Arbeit. Dabei kristallisiert sich der kaum fassbare Moment einer Begegnung heraus. Dieser Moment, in dem es immer um Nähe, Distanz, Grenzen und ihre Überschreitung geht.
Formal schließen die Bilder an die Farbfeldmalerei an. Doch anders als beispielsweise Mark Rothko oder Helen Frankenthaler, auf deren Werk Schemmanns Arbeit auf den ersten Blick verweist, finden ihre Bilder ihren Ursprung nicht im Raum selbst oder in der Landschaft, sondern in dem Zwischenraum, der sich ergibt, wenn zwei Personen einander begegnen. Es geht also bei ihrer Malerei um das, was frei bleibt von Farbe und das begrenzt wird durch Schnittkanten und Nähte. Diese Zwischenräume sind es, bei denen die Intention eine Begegnung abzubilden am deutlichsten hervortritt. Der Religionsphilosoph Martin Buber sah in der Begegnung das, was den Menschen ausmachte. Nur aus der Begegnung kann ein Dialog entstehen und ohne Dialog gibt es keine Verbindung zwischen den Menschen. “Alles menschliche Leben ist das Gegenüberstehen”, sagt Buber und der Versuch, den anderen nicht zu ändern, oder von etwas zu überzeugen, sondern ihn im tiefsten zu verstehen ist es, was das Leben ausmacht. “Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen”, schreibt er. Es ist ein Zwischenraum, der kaum zu benennen ist und aus dem dennoch alles entspringt. Diese Begegnungen können sich in Schemmanns Werk auf verschiedenste Weise darstellen. Mal sind sie grün, schwarz, braun – je nachdem wie sie sie erinnert. Das macht jedes Werk zum Moment des Innehaltens und des Anerkennens der Begegnung als tiefster und ehrlichster Form des Dialogs.
Nadine Schemmann wurde 1977 in Solingen geboren und lebt und arbeitet in Berlin. Aus der Illustration kommend hat Schemmann erst 2018 zu ihrer eigenen künstlerischen Praxis gefunden, die sich konstant weiterentwickelt. Ihre Arbeiten waren zuletzt im STUDIO BERLIN (Boros Foundation) im Berghain, im Skulpturenpark Schlossgut Schwante, im Kunsthaus Lempertz Berlin und bei BittelvonJenisch Hamburg zu sehen. Dies ist die erste Einzelausstellung in der Galerie.
Nadine Schemmann’s works are a representation of encounters, conversations and lived moments. In her sculptures and pictures, she assembles the components, which constitute an encounter: the sounds, feelings and colors. For this purpose, she first dyes or bleaches fabrics, which she then sews together to the desired size. At times, the edges of the fabric thereby created already structure Schemmann’s working surface, set boundaries, while announcing the upcoming encounters, namely the color on the linen fabric. On the processed canvases, commonly located on the floor, Schemmann shoots ink, diluted oil paint, and chlorine bleach. The dispersing paint and the bleach tend to create two or multiple spheres, which converge on the fabric. While sometimes approaching each other, at other times they surround each other or merge until it is no longer possible to tell where one color begins and the other ends. The fabrics are not always stretched on frames. Often, they hang openly in the room. In this way, the loosened and the stretched conditions complete each other. Thus, the moment of an encounter is not static, but contingent; it moves and respires, even after the oeuvre’s finalization. In the process, the elusive moment of an encounter becomes tangible. This moment, which is always about closeness, distance, boundaries, and how these can be subject to transgression.
From a formal perspective, Schemmann’s textile tableaus relate to the Color Field Painting. Unlike Mark Rothko or Helen Frankenthaler’s oeuvre, however, to which Schemmann’s work seems to refer at first glance, her paintings do not originate from space or landscape itself, but from the space-in-between resulting from two people’s encounters. Her paintings are therefore about the voids, which remain free of color restricted through cutting edges and seams. It is precisely these interstices, at which the intention to depict an encounter emerges most clearly. As per the religious philosopher Martin Buber, the encounter is significant in the distinction of the human being human. The encounter lies the foundation for the dialogue and without dialogue there is no connection between people. “All human life is about confrontation,” says Buber, and instead of willing to change or convince the other, the attempt to understand him or her in depth is what life is all about. “When we stop interacting, it is as if we stop breathing”, he writes. It is this interspace, which can hardly be nominated and yet, from which everything originates. These encounters present themselves in Schemmann’s work in the most diverse ways. Sometimes they are green, black, brown – depending on how she remembers them. This makes each work a moment of pause and recognition of the encounter as the deepest and most honest form of dialogue.
Nadine Schemmann was born in 1977 and lives and works in Berlin. Having started as an illustrator, Schemmann has found her own artistic practice, which is constantly evolving. Her works have been exhibited in solo and group shows at Schlossgut Schwante, Kunsthaus Lempertz, Studio Berlin, and at BittelvonJenisch Hamburg, among others. This is her first solo exhibition at the gallery.