„Ich erinnere mich immer noch an den knarzenden Kleiderschrank, mit einer Gravur darauf, in der Form einer Pinie. Oder der gelbe Linoleumboden, den es schon längst nicht mehr gibt. Der Wind vom rumpelnden Ventilator roch nach tiefstem Sommer; vorm Gerät meine Großmutter, die stets irgendetwas in der Hand hielt und irgendeine Arbeit verrichtete. Hin und wieder schaute sie mich, den kleinen Knirps, an und erzählte mir von diesem und jenem. Ich erinnere mich an all diese Geschichtchen; in der Tat kommt es mir so vor, als hätte ich all die Momente bei meiner Großmutter, die Geschichten und Unterhaltungen, all die betagten Möbel, die den Raum füllten, und den Raum selbst scheinbar grundlos, jedoch unendlich gerngehabt.
Wenn ich bei meiner Großmutter aus meinen Mittagsschläfchen aufwachte, schaute ich den Wolken zu, die draußen an den Fenstern gemächlich vorbeischwebten. Bei uns zu Hause konnte man vor lauter Stadtgebäuden den Himmel kaum sehen, aber wenn ich so bei meiner Großmutter dalag, füllte der Himmel den alten, hölzernen Fensterrahmen komplett aus. Ich erinnere mich an die transparente Dekofolie mit dem Blumenmuster, das bei dem Schiebefenster über die gesamte Hälfte geklebt worden war. Ich weiß nicht, warum, aber der Kontrast zwischen dem gedämpft durchscheinenden Fensterabbild und die Szenerie jenseits des Fensters passten auf mysteriöse Art und Weise zusammen.
Letzten Sommer war ich seit langem wieder zu Besuch bei meiner Großmutter. Einen Moment lang erkannte sie mich nicht. Vielleicht lag es an ihrer langen Demenzerkrankung, aber anders als früher, sah sie ganz schön hager aus. Zwar wusste ich, dass viele Dinge sich mit der Zeit verändern, und dass viele Bedeutsamkeiten und Erinnerungen im Strom der Zeit verdampfen. Aber mir fiel auf, wie ich stets mit der Illusion gelebt hatte, dass um meine Großmutter herum die Zeit einfach stillstand. Sprach- und wortlos konzentrierte ich mich in solchen Momenten ganz und gar auf den Anblick meiner Großmutter, auf der anderen Seite des Ventilators, der leise vor sich hinsurrte.
Wann immer ich an meine Großmutter zurückdenke, erscheint in meiner Erinnerung eine ganz bestimmte Szene: Ich, eingeschlafen im Ventilatorwind an einem Sommertag. Wie ich aufwache, als das Gerät plötzlich ein rumpelndes Geräusch macht. Ich, das kleine Kind, das aus dem Schlaf geschreckt ins Schaufelrad hineinstarrt…
Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, war das Haus meiner traumhaften Erinnerungen alt und kitschig, aber es war voll von mir gewohnten Dingen und Räumen.
Auf dem Weg zurück vom Pflegeheim meiner Großmutter sah ich der täglich wechselnden Stadtlandschaft Seouls zu, wie sie an unserem Auto vorbeirauschte. Während all die gewohnten Kulissen und Räume sich allmählich zurückzogen, wechselte die städtische Landschaft ihre Kleider in ein modernes und glattgestriegeltesFlair. Die vielen Erinnerungen geraten in Vergessenheit, und unzählige Objekte werden weggeworfen, noch bevor sie jegliche Bedeutungen oder Erinnerungswürdigkeit erlangen. An ihre Stelle treten stets neue und modische Objekte und Räumlichkeiten. Weder das regelmäßige Rumpeln der Ventilatorblätter, noch das laute Erschüttern der längst überholten Waschmaschine sind nunmehr zu hören.
Als meine Großmutter zunehmend ihre Erinnerung verlor, kam es mir so vor, als seien unsere gemeinsamen Erlebnisse nur noch halb echt. Sicherlich machte mich das traurig, aber es ist nun einmal so, dass die meisten Dinge wie eine einjährige Blume schnell wieder verschwinden, sofern sie nicht irgendeinen besonderen Wert, oder eine herausragende Bedeutung gewonnen haben. Ich weiß, dass auch bei mir all diese Dinge und Eindrücke irgendwann getilgt werden; auch sie werden verschwinden. Auch weiß ich, dass im Laufe der Zeit meine Erinnerung ebenfalls sich trüben wird, und dass all die in meinem Inneren Geiste verbliebenen Räume und Objekte ihre Bedeutung verlieren werden.
Selbst das schimmernde Licht auf dem Han-Fluss in Seoul, das man im Vorbeigehen beäugt: So schön es sein mag; auch das wird vergehen.”
Zinu Kim
„I still remember the creaky closet with an engraving on it, in the shape of a pine tree. Or the yellow linoleum floor, long gone. The wind from the rumbling fan smelled of deepest summer, blowing in front of my grandmother, who was always holding something in her hand and doing some kind of work. Now and then she looked at me with a little squint, and told me about this and that. I remember all these stories; in fact, I feel as if I had loved all those moments at my grandmother’s, the stories and conversations, all the aged furniture that filled the room, and the room itself, seemingly for no reason, but infinitely.
When I woke up from my afternoon naps at my grandmother’s house, I would watch the clouds floating leisurely by the windows outside. At home, you could hardly see the sky because of all the city buildings, but when I lay there like that at my grandmother’s, the sky completely filled the old, wooden window frame. I remember the transparent decorative film with the floral pattern that was pasted over the entire half of the sliding window. I don’t know why, but the contrast between the muted translucent window image and the scenery beyond the window was mysteriously complementary.
Last summer, I was visiting my grandmother for the first time in a long time. For a moment she didn’t recognize me. Perhaps it was due to her longterm dementia, but unlike before, she looked quite gaunt. True, I knew that many things change with time, and that many meanings and memories evaporate in its stream. But it struck me how I had always lived with the illusion that time simply stood still around my grandmother. Speechless, at such moments I focused entirely on the sight of my grandmother on the other side of the fan, quietly whirring away.
Whenever I think back to my grandmother, a very specific scene appears in my memory: me, falling asleep against the fan’s wind on a summer day. How I wake up when the device suddenly makes a rumbling noise. Me, the little child, startled out of sleep, staring into the paddlewheel….
Thinking back now, the house of my dreamy memories was old and kitschy, but it was full of things and spaces I was used to.
On the way back from my grandmother’s nursing home, I watched the daily changing cityscape of Seoul rush past our car. As all the familiar backdrops and spaces gradually receded, the urban landscape changed its clothes into a modern and slick flair. The many memories are forgotten, and countless objects are discarded even before they acquire any meaning or memorability. In their place are always new and fashionable objects and premises. Neither the regular rumble of the fan blades nor the loud shaking of the long-outdated washing machine can now be heard.
As my grandmother increasingly lost her memory, it seemed to me that our shared experiences were only half-real. Certainly, this made me sad, but it is just the way it is that most things, like a year-old flower, quickly disappear again, unless they have gained some special value, or some outstanding significance. I know that for me, too, all these things and impressions will eventually be erased; they, too, will disappear. I also know that in the course of time my memory will also become dim, and that all the spaces and objects remaining in my inner spirit will lose their meaning.
Even the shimmering light on the Han River that you gaze at in transit: beautiful as it may be; that too will pass away.”
Zinu Kim